117 - Floriane: 1.8.1887 - 31.10.1899, 31.10.2016 - ???

Cover des Buches 117
Cover des Buches 117
Oktober 2016
59
978-3741293184

 

Mit einem guten Buch auf dem Sofa, eine Tasse Kakao dazu - das ist Alinas Vorstellung von einem gemütlichen Halloween-Abend. Doch die Gemütlichkeit ist jäh dahin, als plötzlich zwei Zombies vor ihr stehen, die zu gut maskiert sind, um wirklich nur maskiert zu sein. Die sind echt!
Wäre da nicht das Mädchen im weißen Kleid gewesen, Alina wäre das erste Opfer der Untoten geworden. Doch auch ihre Retterin hat ein früheres Leben, und sie braucht Alinas Hilfe. Zusammen mit dem friedfertigen Zombiemädchen Floriane erlebt Alina eine Horrorhatz durch die Halloween-Nacht, immer auf der Spur der untoten Mörder.

Eine Halloween-Geschichte um Horror, Kulturschock und Freundschaft, die Jahrhunderte überwindet.

Ebook €0,99

Autorenplauderei

117 gehört zu den Büchern, bei denen ich lange nach einem passenden Titel gesucht habe. Der Arbeitstitel war Der Fleischwurstzombie, weil die Keimzelle der Geschichte, um die die weitere Handlung wuchs, eben ein Zombie war, der keine Gehirne frisst.

Es war das erste Mal, dass Alina am Halloween-Abend allein zu Hause war. Ihre Eltern waren bei Freunden eingeladen und meinten, mit elf Jahren wäre Alina alt genug, um auch mal allein zu Hause zu bleiben. Sie würden auch bei den Freunden übernachten, Alina hatte sturmfrei bis weit in den nächsten Tag hinein.

 

Am Nachmittag war sie im Zoo gewesen und hatte an einer Halloween-Rallye teilgenommen. Eigentlich war es nichts anderes gewesen als eine etwas gruselig aufgemachte Schnitzeljagd, aber es hatte Spaß gemacht. Wie wahrscheinlich alle Kinder, die mitgemacht hatten, hatte sie ein paar Süßigkeiten und ein kleines Büchlein gewonnen, in dem die Tiere des Zoos vorgestellt wurden.

 

Auf dem Heimweg war sie bereits den ersten Trick-or-Treat-Gruppen begegnet. Sie war ihnen tunlichst aus dem Weg gegangen, aus dem gleichen Grund, aus dem sie auch keinen Gedanken daran verschwendet hatte, selbst verkleidet loszuziehen: In den letzten Jahren war das in ihrem Viertel immer mehr ausgeufert, und damit wollte sie nichts zu tun haben. Sie konnte sich nicht genau entsinnen, wie es vor fünf oder sechs Jahren gewesen war, da war sie noch zu klein gewesen, aber an die Vorfälle der letzten Jahre konnte sie sich sehr wohl erinnern. Auch bei Alina und ihren Eltern waren schon faule Eier und matschige Tomaten an die Wand geflogen, und Nachbarn waren sogar Beete zertrampelt und Blumentöpfe kaputtgeschmissen worden. Auf keinen Fall würde sie an die Tür gehen, wenn es klingelte, auch wenn das bedeutete, dass ihr Vater am nächsten Tag die ekligen Grüße mit dem Gartenschlauch würde wegspülen müssen. Mit einer Tasse Kakao, einer Wolldecke und ihrem aktuellen Lieblingsbuch machte sie es sich auf der Couch im Wohnzimmer bequem.

 

***

 

Wohlig in die Decke gekuschelt und gewärmt vom Kakao schlief Alina auf dem Sofa ein. Als sie hochschreckte, hatte sie keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte, und im ersten Moment wusste sie auch nicht, was sie geweckt hatte.

 

Dann hörte sie ein lautes Klirren, das offenbar aus der Küche kam. Es hörte sich so an, als wäre ein Teller oder ein Glas runtergefallen und auf dem Fliesenboden zerschellt, aber das konnte unmöglich sein. Alina war sicher, dass sie allein zu Hause war; dass ihre Eltern vorzeitig zurückgekommen waren, war ausgeschlossen. Wenn doch, dann hätten sie von unterwegs angerufen, und das Handy hätte Alina nicht überhört. Haustiere, die irgendwas hätten runterwerfen können, hatten sie und ihre Eltern nicht, und Alina war sich auch sicher, dass sie nirgends ein Fenster offen gelassen hatte, also auch kein Durchzug herrschen konnte.

 

Von draußen schien das Geräusch aber auch nicht gekommen zu sein, denn dann hätte es durch die Doppelverglasung merklich dumpfer klingen müssen. Was war da los? Die Halloween-Kinder? Gingen die jetzt schon so weit, dass sie den Leuten die Scheiben einwarfen? Die Küche ging zur Straße raus, wenn würde also die Scheibe dort zum Ziel werden.

 

Alina sprang auf, um nachzusehen. Wenn da wirklich einer die Scheibe eingeworfen hatte, dann musste er blöd sein, zu warten, bis er erwischt wurde, aber wenn sie schnell genug war, dann bekam sie ihn vielleicht doch noch zu sehen. Selbst wenn der Betreffende maskiert war, irgendwas würde sie vielleicht entdecken, woran sie ihn erkannte.

 

Sie kam genau zwei Schritte weit. Das war exakt das Stück, das nötig war, um durch die Tür in die Küche sehen zu können, und der Anblick, der sich ihr dann bot, ließ sie auf der Stelle erstarren.

 

Die Scheibe des Küchenfensters war tatsächlich eingeschlagen, die Scherben hatten sich auf Fensterbank, Spüle und Boden verteilt. Ein leichter Wind bewegte die Vorhänge, und der Behälter mit Schwamm und Spülbürsten war umgefallen.

 

Doch das alles nahm Alina nur am Rande wahr. Mitten in der Küche stand eine fremde Frau, und ein Mann kletterte gerade durchs Fenster herein. Seine Bewegungen wirkten irgendwie steif, und er schien nicht einmal zu spüren, dass er die spitzen Splitter streifte, die beim Einschlagen der Scheibe im Rahmen stecken geblieben waren.

 

Beide Gestalten wirkten abgerissen, aber auf eine andere Art als Obdachlose mit verschlissener Kleidung und ausgetretenen Schuhen. Die Kleidung, die sie trugen, wirkte irgendwie altmodisch, sie erinnerte Alina an die Kostüme aus Filmen, die Ende des neunzehnten oder Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts spielten. Die Frau trug ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid und Stiefeletten mit hohen Absätzen, der Mann eine dunkle Hose und ein Sakko mit Lederschonern an den Ellbogen. Alles wirkte irgendwie erdig und verdreckt, auch die totenblassen Gesichter und die wirren Haare wiesen lehmige Spuren auf.

 

Alinas Gedanken rasten. War das jetzt das neueste Halloween-Ritual? Bei fremden Leuten einsteigen und sich selbst holen, was man wollte, statt an der Tür Geld und Süßigkeiten zu fordern? Oder waren es gewöhnliche Einbrecher, die die Verkleidung als Tarnung nutzten? Die Maske war auf jeden Fall beängstigend perfekt, die beiden Eindringlinge schienen sogar daran gedacht zu haben, in Jauche zu baden, damit sie auch stanken wie Zombies.

 

Der Mann stieg über die Spüle hinweg und peilte die Küchentür an. Seine Frau sah nicht zur Seite, aber sie schien zu spüren, dass er zu ihr aufgeschlossen hatte, denn sobald er neben ihr war, setzte auch sie sich in Bewegung. Zielstrebig näherten sie sich der Tür zur Diele, und damit Alina, die in der Wohnzimmertür verharrt war.

 

Ihre Bewegungen wirkten langsam, fast so, als müssten sie sich zu jeder einzelnen überwinden. Oder als ob sie unter Drogen stünden!, ging es Alina durch den Kopf. Konnte man das so perfekt spielen? Oder hatten die beiden wirklich irgendwas eingeworfen, um noch echter zu wirken?

 

Alina war klar, dass es dumm war, darauf zu warten, dass die beiden Eindringlinge ihr verrieten, was sie im Sinn hatten. Sie hätte fliehen sollen, längst schon, aber sie war nicht dazu fähig. Vielleicht hätte sie sich vor einem ‚normalen‘ Einbrecher schon längst in Sicherheit gebracht, aber diese beiden in ihrer schaurigen, total echt wirkenden Verkleidung ließen sie einfach nicht los. Sie war zu nichts anderem mehr fähig als zu stehen und zuzusehen, wie die beiden sich ihr näherten.

 

Dabei war das vielleicht genau der Plan: Was, wenn die beiden es darauf anlegten, sie in die Flucht zu schlagen, um in Ruhe stehlen zu können? Wenn sie vielleicht sogar darauf spekulierten, Zeit zu gewinnen, weil gerade heute Nacht jeder an einen dummen Scherz glauben musste, wenn ihm jemand erzählte, Zombies wären irgendwo eingebrochen?

Jetzt waren die beiden Zombies nur noch zwei Schritte entfernt. Obwohl ihre Bewegungen geradezu zeitlupenhaft wirkten, überwanden sie die Distanz beängstigend schnell. Auch als sie die Arme hoben, wirkte es wie ein Film, der viel zu langsam abgespielt wurde, irgendwie fast schläfrig, aber Alina wusste, dass es nur noch eine Frage von wenigen Sekunden war, bis die Hände ihren Hals umklammern würden. Sie hatte nur noch eine Chance, sich herumzuwerfen und wegzulaufen, und die war jetzt.