Miesewetterlaune

Cover des Buches Miesewetterlaune
Cover des Buches Miesewetterlaune
2. November 2023
Neobooks
23
978-3756565290

 

Mark und Simon wissen, dass das Wetter um­schlagen wird. Trotzdem ver­säumen sie es, recht­zeitig umzu­kehren, und das rächt sich. Bis ins Dorf werden sie es nicht mehr schaffen, ehe das Ge­witter los­bricht, sie müssen sich unter­stellen. Eine Wahl haben sie nicht, der einzige Unter­schlupf ist bei Sanne – bei Sanne, die niemand mag. Ein paar Stunden werden sie fest­sitzen, sie müssen das Beste machen aus der Situa­tion. Aber was das Beste ist, da gehen die Mei­nungen ausein­ander ...

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„Och, nö!“ Mark schaute zum Himmel, der sich in kürzester Zeit zugezogen hatte. Eben war ihm der erste dicke Tropfen genau auf die Nase gefallen. „Das muss doch jetzt nicht sein!“

 

Mark war zusammen mit seinem besten Freund Simon auf Fotosafari. Von dem Dorf, in dem sie wohnten, aus waren sie ins Perlbachtal gewandert, das ein gutes Stück höher lag und tiefer drin reichlich karg war. Aber es gab viele Murmeltiere dort, vor allem in einem Talast, der den Touristen weitgehend unbekannt war. Die Hoffnung der beiden Jungen, einige schöne Fotos machen zu können, war nicht enttäuscht worden, sie hatten sich still verhalten und waren dafür belohnt worden. Vor allem Mark hatte einige hervorragende Bilder eingefangen, er hatte eine gute Kamera mit zwei starken Objektiven und verstand, damit umzugehen. Obwohl er und Simon respektvoll Abstand gehalten hatten zu den Tieren, hatte er regelrechte Porträtfotos machen können. Aber auch Simon war zufrieden, so gut gerüstet wie sein bester Freund war er zwar nicht, aber ein paar hübsche Bilder waren ihm auch mit der Handykamera und einem kleinen Objektiv-Aufsatz gelungen. Außerdem würde er Kopien von Marks Fotos bekommen, wenn sie wieder zu Hause waren.

 

Über die Freude am Beobachten und Fotografieren hatten Mark und Simon glatt die Zeit vergessen und sich deutlich später auf den Rückweg gemacht als geplant. So spät, dass sie zu Hause Ärger bekommen würden, war es nicht, sie hatten Ferien und durfte lange draußen bleiben, aber jetzt drohten sie nass zu werden. Sie hatten natürlich die Wettervorhersage studiert, ehe sie aufgebrochen waren, jedes Kind, das in den Südtiroler Bergen groß geworden war, wusste, wie wichtig das war. Ab dem späten Nachmittag sollten Gewitter aufziehen, hatten die Meteorologen prophezeit, deshalb hatten Mark und Simon sich eigentlich vorgenommen, um drei, spätestens um halb vier, auf dem Heimweg zu sein. Stattdessen war es schon fast fünf Uhr gewesen, als sie losgegangen waren, und es sah ganz so aus, als sollte sich das rächen. Der Himmel war dunkel, fast schwarz, über den Bergen zuckten Blitze, und der eine vorwitzige Tropfen, den Mark abbekommen hatte, bekam zunehmend Gesellschaft.

 

„Bis runter schaffen wir’s nicht mehr!“, stellte Simon nüchtern fest. „So schnell können wir nicht laufen, dass es uns nicht einholt.“ Bis zum Dorf war es bei ihrem gewohnten Gehtempo noch eine gute halbe Stunde. „Unterstellen können wir uns aber auch nirgends“, meinte Mark. „Außer auf der Schattleitenalm“, wandte Simon ein. „Trockenen Fußes kommen wir da auch nicht mehr hin, aber zumindest müssen wir nicht so lange durch den Regen laufen.“ „Zu Sanne?“ Mark winkte ab. „Never ever!“

 

Sanne, die eigentlich Susanne hieß, war im gleichen Alter wie Mark und Simon, also zwölf, und sie kannten sich seit Babytagen. Das ging in einem kleinen Dorf gar nicht anders, die Kinder waren zusammen im Kindergarten gewesen, in der Grundschule, und auch in der Mittelschule waren sie in einer Klasse.

 

Unter den Gleichaltrigen hatte Sanne jedoch einen schweren Stand. Simon hätte nicht einmal sagen können, wann es angefangen hatte, es schien schon immer so gewesen zu sein. Alles, was auch nur einen Hauch von Gelegenheit dazu bot, wurde aufgegriffen, um sie zu verspotten. Wegen ihres altmodischen Namens und weil sie mit ihren Eltern auf der Alm außerhalb des Dorfes lebte, wurde ihr gern nachgesagt, dass sie im Mittelalter stehen geblieben war. Dass sie ziemlich unnahbar wirkte, machte es auch nicht besser, wobei Simon sich nicht sicher war, was Ursache und was Wirkung war. Vielleicht war diese Unnahbarkeit ein Schutzmantel, den sie um sich gelegt hatte, damit die dummen Sprüche sie nicht verletzten.

 

Er selbst hielt sich raus, eigentlich hatte er so gut wie nichts zu tun mit Sanne, außer dass sie eben im gleichen Klassenzimmer saßen, natürlich auch im Schulbus, und sich gelegentlich im Dorf begegneten. Aber er schätzte, dass sie eigentlich ganz in Ordnung war, und sie würde ihn und Mark nicht im Regen stehen lassen. Die Schattleitenalm war im Moment der nächste Unterschlupf, den sie erreichen konnten.

 

„Da kommt gleich richtig was runter!“, mahnte er seinen besten Freund. „Das geht auch durch die Regencapes durch. Bis wir unten sind, kannst du uns auswringen.“ „Ist dann halt so“, meinte Mark und versuchte, es gleichgültig klingen zu lassen. „Immer noch besser, als bei Sanne abzuhängen, bis uns einer abholen kommt. Wenn wir Pech haben, dauert’s Stunden, bis wir da wegkommen, das hört heute nicht mehr auf zu regnen, und wer weiß, wann uns einer mit dem Auto holen kann! Da sind wir doch total die Deppen dann.“

 

Das war Simon auch klar: Wenn sie den Abend gezwungenermaßen mit Sanne verbrachten und einer von ihren Freunden bekam es mit, dann würde es einige spitze Bemerkungen setzen. Aber trotzdem war es besser, als sich auf dem Weg ins Dorf völlig durchnässen zu lassen, und bei Starkregen abzusteigen, war auch nicht ganz ungefährlich. Wenn das Wasser in wahren Sturzbächen den Weg runterlief, dann würden die Wanderschuhe trotz ihres guten Profils nur schwer Halt finden, und Simon hatte keine Lust, sich hinzulegen.

 

„Denk wenigstens an deine Ausrüstung!“, redete er Mark zu. „Jeder wird verstehen, dass du die retten wolltest, die kostet schließlich richtig Geld. Und so schlimm ist Sanne doch auch nicht.“

 

Mark biss sich auf die Lippen, hatte diesem Argument aber nichts entgegenzusetzen. Die Kamera war teuer gewesen, und darauf, dass sein Rucksack wirklich wasserdicht war, sollte er sich besser nicht verlassen. Wahrscheinlich galt für den das Gleiche wie für die Regencapes: Normalem Regen hielt er stand, aber vor einem heftigen und langanhaltenden Gewitterregen würde er früher oder später kapitulieren. Mark nickte, es musste sein.

 

***

 

„Och, nö!“ Mark schaute zum Himmel, der sich in kürzester Zeit zugezogen hatte. Eben war ihm der erste dicke Tropfen genau auf die Nase gefallen. „Das muss doch jetzt nicht sein!“

 

Mark war zusammen mit seinem besten Freund Simon auf Fotosafari. Von dem Dorf, in dem sie wohnten, aus waren sie ins Perlbachtal gewandert, das ein gutes Stück höher lag und tiefer drin reichlich karg war. Aber es gab viele Murmeltiere dort, vor allem in einem Talast, der den Touristen weitgehend unbekannt war. Die Hoffnung der beiden Jungen, einige schöne Fotos machen zu können, war nicht enttäuscht worden, sie hatten sich still verhalten und waren dafür belohnt worden. Vor allem Mark hatte einige hervorragende Bilder eingefangen, er hatte eine gute Kamera mit zwei starken Objektiven und verstand, damit umzugehen. Obwohl er und Simon respektvoll Abstand gehalten hatten zu den Tieren, hatte er regelrechte Porträtfotos machen können. Aber auch Simon war zufrieden, so gut gerüstet wie sein bester Freund war er zwar nicht, aber ein paar hübsche Bilder waren ihm auch mit der Handykamera und einem kleinen Objektiv-Aufsatz gelungen. Außerdem würde er Kopien von Marks Fotos bekommen, wenn sie wieder zu Hause waren.

 

Über die Freude am Beobachten und Fotografieren hatten Mark und Simon glatt die Zeit vergessen und sich deutlich später auf den Rückweg gemacht als geplant. So spät, dass sie zu Hause Ärger bekommen würden, war es nicht, sie hatten Ferien und durfte lange draußen bleiben, aber jetzt drohten sie nass zu werden. Sie hatten natürlich die Wettervorhersage studiert, ehe sie aufgebrochen waren, jedes Kind, das in den Südtiroler Bergen groß geworden war, wusste, wie wichtig das war. Ab dem späten Nachmittag sollten Gewitter aufziehen, hatten die Meteorologen prophezeit, deshalb hatten Mark und Simon sich eigentlich vorgenommen, um drei, spätestens um halb vier, auf dem Heimweg zu sein. Stattdessen war es schon fast fünf Uhr gewesen, als sie losgegangen waren, und es sah ganz so aus, als sollte sich das rächen. Der Himmel war dunkel, fast schwarz, über den Bergen zuckten Blitze, und der eine vorwitzige Tropfen, den Mark abbekommen hatte, bekam zunehmend Gesellschaft.

 

„Bis runter schaffen wir’s nicht mehr!“, stellte Simon nüchtern fest. „So schnell können wir nicht laufen, dass es uns nicht einholt.“ Bis zum Dorf war es bei ihrem gewohnten Gehtempo noch eine gute halbe Stunde. „Unterstellen können wir uns aber auch nirgends“, meinte Mark. „Außer auf der Schattleitenalm“, wandte Simon ein. „Trockenen Fußes kommen wir da auch nicht mehr hin, aber zumindest müssen wir nicht so lange durch den Regen laufen.“ „Zu Sanne?“ Mark winkte ab. „Never ever!“

 

Sanne, die eigentlich Susanne hieß, war im gleichen Alter wie Mark und Simon, also zwölf, und sie kannten sich seit Babytagen. Das ging in einem kleinen Dorf gar nicht anders, die Kinder waren zusammen im Kindergarten gewesen, in der Grundschule, und auch in der Mittelschule waren sie in einer Klasse.

 

Unter den Gleichaltrigen hatte Sanne jedoch einen schweren Stand. Simon hätte nicht einmal sagen können, wann es angefangen hatte, es schien schon immer so gewesen zu sein. Alles, was auch nur einen Hauch von Gelegenheit dazu bot, wurde aufgegriffen, um sie zu verspotten. Wegen ihres altmodischen Namens und weil sie mit ihren Eltern auf der Alm außerhalb des Dorfes lebte, wurde ihr gern nachgesagt, dass sie im Mittelalter stehen geblieben war. Dass sie ziemlich unnahbar wirkte, machte es auch nicht besser, wobei Simon sich nicht sicher war, was Ursache und was Wirkung war. Vielleicht war diese Unnahbarkeit ein Schutzmantel, den sie um sich gelegt hatte, damit die dummen Sprüche sie nicht verletzten.

 

Er selbst hielt sich raus, eigentlich hatte er so gut wie nichts zu tun mit Sanne, außer dass sie eben im gleichen Klassenzimmer saßen, natürlich auch im Schulbus, und sich gelegentlich im Dorf begegneten. Aber er schätzte, dass sie eigentlich ganz in Ordnung war, und sie würde ihn und Mark nicht im Regen stehen lassen. Die Schattleitenalm war im Moment der nächste Unterschlupf, den sie erreichen konnten.

 

„Da kommt gleich richtig was runter!“, mahnte er seinen besten Freund. „Das geht auch durch die Regencapes durch. Bis wir unten sind, kannst du uns auswringen.“ „Ist dann halt so“, meinte Mark und versuchte, es gleichgültig klingen zu lassen. „Immer noch besser, als bei Sanne abzuhängen, bis uns einer abholen kommt. Wenn wir Pech haben, dauert’s Stunden, bis wir da wegkommen, das hört heute nicht mehr auf zu regnen, und wer weiß, wann uns einer mit dem Auto holen kann! Da sind wir doch total die Deppen dann.“

 

Das war Simon auch klar: Wenn sie den Abend gezwungenermaßen mit Sanne verbrachten und einer von ihren Freunden bekam es mit, dann würde es einige spitze Bemerkungen setzen. Aber trotzdem war es besser, als sich auf dem Weg ins Dorf völlig durchnässen zu lassen, und bei Starkregen abzusteigen, war auch nicht ganz ungefährlich. Wenn das Wasser in wahren Sturzbächen den Weg runterlief, dann würden die Wanderschuhe trotz ihres guten Profils nur schwer Halt finden, und Simon hatte keine Lust, sich hinzulegen.

 

„Denk wenigstens an deine Ausrüstung!“, redete er Mark zu. „Jeder wird verstehen, dass du die retten wolltest, die kostet schließlich richtig Geld. Und so schlimm ist Sanne doch auch nicht.“

 

Mark biss sich auf die Lippen, hatte diesem Argument aber nichts entgegenzusetzen. Die Kamera war teuer gewesen, und darauf, dass sein Rucksack wirklich wasserdicht war, sollte er sich besser nicht verlassen. Wahrscheinlich galt für den das Gleiche wie für die Regencapes: Normalem Regen hielt er stand, aber vor einem heftigen und langanhaltenden Gewitterregen würde er früher oder später kapitulieren. Mark nickte, es musste sein.