Ratekrimi: Rache auf dem Weihnachtsmarkt

Diese Geschichte ist ein Ratekrimi. Also aufgepasst, am Ende gibt es eine Frage zu beantworten. Findest du die Lösung?

 

Cover der Kurzgeschichte Rache auf dem Weihnachtsmarkt

Bratwurst, Glühwein und gebrannte Mandeln – selbst mit geschlossenen Augen und Ohren hätten Anette und Felicitas gewusst, wo sie waren. Diese einzigartige Mischung aus verschiedensten Düften gab es nur auf dem Weihnachtsmarkt. Auch die Geräuschkulisse war unverwechselbar, aber der konnten die beiden Mädchen nicht ganz so viel abgewinnen. Drei verschiedene Weihnachtslieder in jeweils zwei Versionen gleichzeitig im Ohr, das war einfach zu viel, und gegen Plastik-Weihnachtsmänner, die aus vollem Billiglautsprecher Jingle Bells grölten, hätte es ein Gesetz geben müssen.

 

Anette und Felicitas, Cousinen und beste Freundinnen zugleich, wollten ein bisschen bummeln. Irgendwie gehört das dazu, auch wenn sie nicht vorhatten, irgendwo viel von ihrem Taschengeld zu lassen. Anettes Mutter hatte ihnen Geld für Schokofrüchte gegeben, aber das würden sie sich bis zum Schluss aufheben, weil sie auch für den Rest der Familie welche mitbringen sollten.

 

In der Düsseldorfer Altstadt gab es mehrere Weihnachtsmärkte, die aber teilweise aneinander grenzten oder ineinander übergingen. Anette und Felicitas schlenderten zwischen den Ständen hindurch, schauten mal hier, mal da und kicherten, wenn sie etwas gar zu Verrücktes entdeckten. Längst nicht alles, was an den Ständen feilgeboten wurde, hatte überhaupt noch irgendwie mit Weihnachten zu tun, und auch bei dem, was man mit dem Fest in Verbindung bringen konnte, war die Spannweite riesig. Eine ganze Weile standen die beiden Mädchen vor dem Seitenfenster eines großen Standes mit geschnitzten Häusern und Figuren und ließen die Figuren in ihrer Fantasie kleine, witzige Szene erleben. Die Verkäuferinnen bemerkten sie wohl, ließen sie aber gewähren, weil sie nicht störten.

 

Um halb sechs näherten Anette und Felicitas sich langsam wieder dem Ausgang. Es war zwar Freitag, der nächste Tag also schulfrei, aber sie hatten ja auch noch den Heimweg vor sich, und zum Abendessen sollten sie wieder zu Hause sein.

 

Wo sie ihre Schokofrüchte kaufen wollten, hatten sie schon entschieden. Nicht so weit von der U-Bahn-Haltestelle entfernt gab es einen Stand, der eine echt große Auswahl hatte, mehr Obstsorten als die anderen und dreierlei Schokolade.

 

Als sie den Stand erreichten, war jedoch niemand da. Na gut, das konnte passieren, auch die Verkäuferinnen und Verkäufer mussten mal frischen Kaffee holen oder aufs Klo gehen, und die meisten Stände waren nur mit einer Person besetzt. Es würde schon wieder jemand kommen, und so knapp waren Anette und Felicitas nicht mit der Zeit, dass sie nicht ein paar Minuten warten konnten. Zum Hauptbahnhof fuhr alle paar Minuten was, sie konnten auch zu Fuß gehen, und die S-Bahnstrecke raus nach Derendorf, wo sie wohnten, wurde von drei Linien bedient.

 

Die beiden Freundinnen vertrieben sich die Zeit damit, schon mal ihre Auswahl zu treffen. Vielleicht war es gar nicht schlecht, so brauchte sich niemand in Geduld zu fassen, bis sie entschieden hatten, was sie Anettes Eltern, denen von Felicitas und den gemeinsamen Großeltern mitbringen sollten. Sie würden bei Felicitas zu Hause vorbeigehen und auch den kleinen Umweg zu den Großeltern machen, ehe sie schließlich zu Anette gehen würden. Felicitas würde bei Anette schlafen, das hatten sie mittags spontan verabredet.

 

Bald hatten sie ihre Auswahl getroffen, aber in der Bude rührte sich immer noch nichts. „Was ist denn da los?“, wunderte sich Anette. Sie wollte nicht ungeduldig sein, aber jetzt, wo sie sich nicht mehr bewegte, wurde ihr langsam kalt.

 

Felicitas wollte etwas sagen, doch ein Geräusch, das nicht in die übliche Kulisse passte, lenkte sie ab. „Da stöhnt jemand!“, sagte sie. „Wo?“, fragte ihre Cousine, die nichts gehört hatte, vielleicht, weil sie etwas näher zur benachbarten Bude stand, wo gerade ein Paar in den Fünfzigern diskutierte, welche Bienenwachskerzen es kaufen sollte.

 

„Irgendwo von da.“ Felicitas nickte in Richtung des Tresens. „Sei mal leise!“ Dabei sagte Anette gar nichts mehr, sondern lauschte angestrengt. „Ich höre nichts!“, stellte sie nach ein paar Sekunden fest. „Ich auch nicht mehr“, gab Felicitas zu. „Aber da war was, ich bin mir sicher.“ Dabei trat sie schon dicht an den Tresen heran, der den Verkaufsstand nach vorne abschloss, und versuchte, den Boden dahinter zu sehen. Lag dort jemand? Wenn, dann ganz dicht vor dem Tresen, sodass er für sie im toten Winkel war. „Die Tür ist offen!“, sagte sie. „Komm, wir schauen mal von hinten rein.“ „Dürfen wir das?“, fragte Annette unsicher. Dann sagte sie sich, dass vielleicht Gefahr im Verzug war, und wenn nichts war, dann würden sie die Bude nicht betreten.

 

Die hölzernen Buden standen dicht an dicht, und die Lücken, die wegen der überstehenden Dächer nicht zu vermeiden waren, waren mit Tannenbäumen versperrt. Das war Absicht, denn zwischen den Budenreihen, die rückseitig aneinander grenzten, waren die Hydranten und die Verteiler für die Stromversorgung der Stände, und manche parkten auch den Abfall dort zwischen.

 

Es war mühsam, sich an den Zweigen vorbeizuquetschen, aber Anette und Felicitas schafften es. Sicherlich gab es irgendwo auch einen Zugang zu dem Bereich zwischen den Verkaufshütten, schon weil die Türen der Hütten alle nach hinten rausgingen, aber die beiden Mädchen hatten keine Zeit, danach zu suchen.

 

Zwischen den Buden war es dunkel, so dunkel, dass Felicitas ihr Handy aus der Tasche holte, um sich zu leuchten. Sie wollte sich weder an einem überstehenden Balken stoßen, noch über Schläuche und Stromleitungen fallen, die hier verlegt waren. Vorsichtig bewegte sie sich vorwärts bis zur hinteren Ecke der Bude und leuchtete dann den Platz an der Rückseite aus. „Scheiße!“, entfuhr es ihr. „Was denn?“, wollte ihre Cousine wissen, die ihr dichtauf folgte, aber nicht an ihr vorbeischauen konnte.

 

Felicitas antwortete nicht. Mit einem Satz war sie bei der Gestalt, die an der Rückwand der Hütte auf dem Boden lag. Sie regte sich, tot war die Person nicht, aber offenbar auch nicht allzu gut beieinander. Erschrocken ging Felicitas in die Knie und leuchtete die Gestalt an. Es war ein Mann, wohl um die sechzig, mit Halbglatze und leichtem Bauchansatz. War das der Inhaber der Bude mit den Schokofrüchten? Der Verdacht lag nahe, aber das war jetzt auch nicht wichtig. „Sind Sie verletzt?“, fragte Felicitas. Gleichzeitig spürte sie, wie auch Anette neben ihr in die Hocke ging. „Mein Kopf!“, stöhnte der Mann. Mühsam fasste er sich an die Stelle, die ihm wohl am meisten zu schaffen machte. „Au!“, entfuhr es ihm, als er sie betastete. „Lassen Sie mich mal schauen!“, sagte Felicitas. Sie handelte instinktiv und dachte keinen Augenblick darüber nach, dass ihre Kenntnisse in Erster Hilfe nicht der Rede wert waren. In der Grundschule hatten sie einen Kurs gemacht, den hatte die Lehrerin organisiert, aber Felicitas wusste selbst nicht, wie viel vom damals Gelernten sie noch parat hatte.

 

Sie half dem Mann, sich aufzusetzen, und untersuchte im Licht der Handytaschenlampe seinen Hinterkopf. Sie fand eine Beule, und etwas blutig war die Stelle auch. „Sind Sie hingefallen?“, fragte Anette. Der Mann schüttelte den Kopf, was in seinem Zustand nicht gut war. „Mist!“, stöhnte er. „Nein, es war ein Überfall.“

 

Anette und Felicitas erschraken gleichermaßen. Ein Unfall wäre schlimm genug gewesen, aber ein Überfall wirkte gleich noch mal viel bedrohlicher. Unwillkürlich schaute Anette hinter sich – wer garantierte ihr, dass der Täter nicht noch hinter der Ecke lauerte und als Nächstes ihr eins überzog, damit sie ihn nicht identifizieren konnte?

 

Aber da war zum Glück niemand, und zum Glück berappelte auch das Opfer sich wieder. Herr Ackermann, so hieß er, war in der Tat der Inhaber der Bude, hinter der er niedergeschlagen worden war, und er hatte einen konkreten Verdacht, wer hinter dem Überfall steckte. „Das muss der von gegenüber gewesen sein!“, erklärte er überzeugt. „Haben Sie ihn erkannt?“, wollte Felicitas wissen. Diesmal hütete der Schausteller sich, den Kopf zu schütteln. „Nein, das nicht“, erklärte er. „Hier ist es ja so dunkel, und er muss auch dunkel gekleidet gewesen sein, ich hab nur einen Schemen gesehen, und dann hat er auch schon zugeschlagen. Aber mit dem gibt es immer Streit. Sein billiger Plunder macht so viel Lärm, das vertreibt allen um ihn rum die Kunden. Vorhin erst hab ich ihm gesagt, dass er das Zeug ausschalten soll.“

 

Den Verdacht, dass der Überfall ein Racheakt des Inhabers der gegenüberliegenden Bude war, hielt er auch der Polizei gegenüber aufrecht, die wenig später eintraf. Anette hatte sie gerufen und angeboten, auch einen Krankenwagen zu holen, doch davon wollte Herr Ackermann nichts wissen. Er hatte zwar Kopfschmerzen, meinte aber, ernsthaft kaputt wäre nichts. Da war wohl auch eine gehörige Portion Trotz dabei, dem ungeliebten Nachbarn nicht das Feld zu überlassen.

 

Anette und Felicitas hatten in der Zwischenzeit Gelegenheit gehabt, den Stand in Augenschein zu nehmen. Dass Herr Ackermann genervt war, konnten sie verstehen, sein Nachbar von gegenüber verkaufte Deko und Spielzeug, alles ziemlich grelles Zeug, und vieles blinkte oder gab irgendwelche Geräusche von sich. Selbst wenn einzelne Teile ganz hübsch sein mochten und bestimmt Freunde fanden, alles durcheinander war einfach zu viel, vor allem, wenn man es stundenlang ertragen musste. Dass dem jungen Mann hinter dem Tresen nicht selbst dabei der Kopf platzte, war ein Wunder. Allerdings passte er in diese bunte Welt, mit einem knalligen Trainingsanzug aus Ballonseide, der modern gewesen war, als Anette und Felicitas noch nicht mal ferne Zukunftspläne ihrer Eltern gewesen waren, Basecap und neongelben Schuhen. Er schien sich echt für sein Angebot zu begeistern, kam nämlich regelmäßig aus der Bude heraus, um Interessierten irgendeines der Spielzeuge vorzuführen. Außerdem fiel Felicitas auf, dass er eine von den Uhren mit der leuchtenden Digitalanzeige aus seinem Sortiment am Arm trug.

 

Die beiden Polizisten, die den Streifenwagen vor den Toren des Weihnachtsmarkts abgestellt hatten und das letzte Stück zu Fuß gekommen waren, ließen sich zunächst von Herrn Ackermann berichten. Anschließend vernahmen sie auch Anette und Felicitas, merkten aber schnell, dass die beiden Mädchen als Zeuginnen unergiebig waren. Sie waren zu spät gekommen, um den Täter zu sehen, und einer der Polizisten meinte, das wäre vielleicht auch ganz gut so, sonst wären sie womöglich auch noch niedergeschlagen worden.

 

Zum Schluss holten sie den jungen Mann von gegenüber herüber. Anette und Felicitas hatten den Eindruck, dass sie sich davon nicht viel erhofften, doch Herr Ackermann drängte darauf, dass sie ihn befragten.

 

Der Verkäufer, Bendel hieß er, bestritt nicht, dass er bei den Inhabern der umliegenden Buden keinen leichten Stand hatte. Er leugnete auch nicht, dass er ziemlich sauer war auf Herrn Ackermann, weil der sich am häufigsten beschwerte. Dass er ihm deswegen aufgelauert hatte, stritt er jedoch energisch ab.

 

„Lüg doch nicht!“, fuhr Herr Ackermann ihn an. „Hab doch gehört, wie du gesagt hast, irgendwann zündet mir mal einer die Bude an.“ „So, wie Sie immer meckern, da sagt man schon mal so was“, verwahrte sich Herr Bendel. „Aber ich bin kein Schläger.“

 

„Ich glaube, er sagt die Wahrheit“, mischte Felicitas sich unvermittelt ein. „Auch wenn er Sie beschimpft hat, er hat Sie nicht überfallen.“

 

Herr Ackermann starrte sie an, als hätte sie etwas Unanständiges gesagt. Auch die beiden Polizisten wussten offenbar nicht, was sie davon halten sollten. Vielleicht trauten sie einem elfjährigen Mädchen auch nicht zu, etwas zu beobachten, was ihnen, die doch dafür geschult waren, entgangen war. „Wieso bist du dir da so sicher?“, fragte der Ältere, der wohl auch der Ranghöhere war.

 

Weißt du, warum Felicitas sich so sicher ist, dass Herr Bendel nicht der Täter ist?

 

Auflösung

Cover der Kurzgeschichte Rache auf dem Weihnachtsmarkt